Weihnachtsmaus

Rock'n Roll unterm Weihnachtsbaum

Lilly blinzelte verschlafen in die winterliche Morgensonne, die durch den Spalt ihres Rollos schien. Die warmen Strahlen kitzelten sie an ihren kleinen Zehen. Plötzlich hörte Lilly leise Musik. Sie schlich durch den Korridor zum Wohnzimmer. Durch die Türscheibe des Wohnzimmers konnte sie dummerweise nichts sehen. Ihre Eltern hatten eine Decke davor gehängt - schließlich sollte das Christkind in Ruhe die Geschenke einpacken können.

Obwohl Lilly wusste, dass sie das Christkind verscheuchen könnte, zog sie die Musik irgendwie an. Sie riskierte einen Blick. Im fast dunklen Wohnzimmer erkannte sie einen großen Weihnachtsbaum, unter dem viele bunte Geschenke lagen.

Plötzlich lief etwas über ihre nackten Füße. Lilly wich erschrocken zurück. Aber ihre Neugier war größer als ihre Angst und sie tastete sich langsam zum Weihnachtsbaum vor. Sie starrte in die Dunkelheit.

„Halt! Bewegte sich da nicht etwas? Dort - unter dem Weihnachtsbaum.“ Lilly stockte das Herz vor Schreck und sie war hellwach. Wer war das im Wohnzimmer? War das etwa das Christkind? Viele Fragen schwirrten ihr im Kopf herum.

Das Gesicht konnte sie nicht sehen, nur zwei dunkle Augen - zwischen den Geschenkpäckchen. Lilly blieb der Atem weg. Sollte sie ihre Eltern rufen? Sie zitterte am ganzen Körper, als die Augen in ihre Richtung sahen.

„Oh nein, bitte, bitte nicht. Ich wollte dich doch nicht verscheuchen“, schluchzte sie leise. Lilly hatte das Christkind so gern und sich das ganze Jahr über Mühe gegeben, brav zu sein. Tränen kullerten über ihre Wangen. Was sollte sie bloß tun?

Die Augen sahen wieder in ihre Richtung. Was jetzt? Lilly kroch auf dem Fußboden entlang hinter den Fernsehsessel. Aber die kleine dunkle Gestalt lief hinter ihr her.

„Psst, leise. Verrate uns nicht. Wir haben gerade so schön getanzt.“

Lilly wagte einen kurzen Blick, klammerte sich dabei an der Sessellehne fest.

„Hallo, Kleine, du musst keine Angst vor uns haben!“

Lilly fasste ihren ganzen Mut zusammen: „Uns? - Wer seid ihr?“ Ihre Stimme war kaum zu hören.

„Wir heißen Tricksie und Speedy“, die Antwort kam prompt.

„Also, nicht das Christkind?“

„Sehen wir etwa so aus?“

„Hm, ich weiß nicht.“ Lilly überlegte: „Das Christkind hat blonde Locken, ein schönes weißes Kleid an, goldene Sterne sind auch drauf ... in meinem Weihnachtsbuch.“

„Na also! Wir sind grau und weiß und haben ein Fell. Schau her.“ Das nächste braune Knopfaugenpaar schaute unter den Tannenzweigen hervor.

„Komm aus deinem Versteck heraus, Speedy, die Kleine ist o.k. Ein kleiner Angsthase, so wie du.“

„Was macht ihr denn zwischen den Weihnachtsgeschenken?“

„Uns war es zu kalt draußen im Schnee, da haben wir uns hereingeschlichen, als dein Vater die Vögel gefüttert hat. Dann haben wir super viele Geschenke gesehen.“

„Geschenke? Seid ihr verrückt! Ihr dürft doch nicht die Geschenke öffnen.“

„War ja bis jetzt erst eins. Hier schau, diese CD lag unterm Weihnachtsbaum. Na ja, vorher war noch so ’n Papier drum herum und eine goldene Kordel. Wir haben alles ein bisschen angenagt, und - da war sie. Die Musik ist stark. Wir hören nicht alles – keine Katzenmusik.“

„Seid ihr verrückt, ihr könnt doch nicht einfach hier hereinplatzen, das Christkind verscheuchen und die Geschenke aufmachen. Meine Eltern glauben mir nicht, dass ihr das wart. Ich weiß schon, was kommt: Stubenarrest und Fernsehverbot! Vielleicht nicht gleich eine ganze Woche, weil Weihnachten ist. Da soll man ja friedlich miteinander sein, aber einige Tage reichen mir trotzdem.“

„Hab dich nicht so. Die Musik ist sooo cool. Soll’n wir dir zeigen, wie wir tanzen?

„Na gut, aber macht die Musik leiser. Mami und Papi werden nicht mehr lange schlafen. Heute ist Heiligabend und wir erwarten viele Gäste. Die beiden haben noch Megastress. Also macht schnell. Wenn ich schon Ärger bekomme, dann soll sich das wenigstens gelohnt haben.“

„Sag mal, wie heißt du überhaupt?“, fragte Tricksie.

„Lilly.“

„Netter Name. So Lilly, jetzt zeigen wir dir einen echten Rock and Roll.“ Let me be your teddy bear ... Die Musik dröhnte durch Wohnzimmer.

Tricksie und Speedy rockten so ungestüm, dass die Kugeln am Weihnachtsbaum im Takt hin und her pendelten. Auch Lilly hielt es nicht mehr lange hinter dem sicheren Sessel aus. Sie klatschte in die Hände, wackelte mit ihrem kleinen Po im Takt hin und her und tanzte mit den Mäusen um den Weihnachtsbaum herum. Die drei Rock and Roll-Fans sahen jedoch nicht, dass noch jemand ausgelassen mittanzte. Speedy und Tricksie japsten nach Luft. Lilly schnaufte und schwitzte.

„Vielleicht tanzen meine Eltern heute Abend mit mir! Aber: Ihr müsst mir schnell helfen. Wir packen die CD wieder ein, so dass sie nichts merken. Danach lasse ich euch durch die Balkontür raus und ihr sucht euch ein anderes warmes Plätzchen. Morgen früh treffen wir uns dann wieder. Ach, ich freue mich schon auf den Heiligabend. Nur gut, dass wir mit unserem Rock and Roll nicht das Christkind verjagt haben – das kann jetzt noch die restlichen Geschenke in Ruhe einpacken.“

Ein Augenpaar lächelte von der Decke herab. Und ein paar winzige Schweißperlen fielen aus den blonden Locken auf ein weißes Kleid mit goldenen Sternchen.