Schneekante

Dendri, die Schneeflocke, die nicht fallen wollte

Minus sieben Grad. Die kleinen dünnen Schneenadeln versammeln sich an der Absprungrampe hoch oben über der Erde. Sie warten auf das Kommando von Reif, der ihre Reihenfolge genau festlegt. Dann springen die kleinen weißen Wesen, stürzen sich lachend kopfüber hinab. Sie wirbeln durch den Wind wieder nach oben, tanzen ein bisschen zusammen in der Luft. Die dünnen Schneenadeln verhaken sich fest ineinander und kommen so in einer lustigen Schar auf die ersten hohen Bergspitzen, die sie mit einem weißen Häubchen verzieren.

„Schau, Mutti, es schneit.“

Die blauen Kinderaugen strahlen, und eine kleine Stups­nase hinterlässt einen winzigen Fleck an der Fensterscheibe.

„Hoffentlich kommen noch mehr Schneeflocken. Dann hole ich meinen Schlitten aus dem Keller. Endlich Weihnachten mit Schnee.“

Im Himmel wird es noch kälter. Jetzt sind die sternförmigen Schneekristalle an der Reihe. Sie springen immer ab minus 14 Grad auf die Erde hinab. Aber an der Rampe gibt es heute ausnahmsweise eine riesige weiße Schlange - Schneeflocken-Stau.

Dendri, der Schneekristall-Junge, hat Angst zu springen. Er umklammert das gefro­re­ne Geländer.

„Los, Dendri, mach schon, jetzt sind wir dran. Die Schneenadeln sind schon gesprungen und auch die Schneeplättchen. Mach schon!“, rufen die anderen Schneekristalle hinter ihm ungeduldig.

„Nein, ich will nicht. Ich will nicht matschig und hässlich wer­den, sondern pulvrig bleiben. Ich springe nicht,“ kommt es trotzig von Dendri zurück.

Immer länger wird die weiße Warteschlange der Schnee­kristalle. Einige haben sich auf der Absprungrampe zu schönen Sternen verhakt. Andere stehen wartend hintereinander.

„Komm, Dendri, wir springen zusammen ab.“ Das Schneekristall-Mädchen ist mutig. „Wir springen bei ‚drei‘, in Richtung Süden. Dorthin, wo die höchsten Berge sind. Dann bleiben wir pulvrig. Ehrenwort. In 2000 Metern Höhe sehen wir besonders schön aus, wenn wir uns verhaken. Wie ein Stern, mit ganz vielen Zacken.“

„Und du bist sicher, dass wir nicht matschig werden?“ Dendri denkt angestrengt über den Vorschlag des Mädchens nach.

„Ja, ganz sicher sogar. Oben auf den Bergen ist es sehr kalt. Wir bleiben dort zusammen liegen. Vielleicht findet uns ein Kind und macht einen Schneeball aus uns. Oder wir verhaken uns mit anderen Schneekristallen und werden meterdick. Dann können die Kinder auf uns rodeln. Du willst ihnen doch wohl nicht die Weihnachtstage verderben. Denk an die vielen Kinder, die sonst ihre neuen Schlitten nicht ausprobieren können. Die sind dann sicher traurig. Willst du daran Schuld sein?“

Das will Schneekristall-Dendri natürlich nicht. Er reicht dem Mädchen seine schönste Spitze und hakt sich fest bei ihr ein. Dann tanzen beide zusammen auf die Berggipfel zu, um sie mit neuem Pulverschnee zu bedecken.

Bergwelt in Obestdorf