Glühwein

Ein Gläschen Glühwein zu viel

"Komisch, ich bin sicher, ich hatte sieben Säckchen mit goldenem Milchstraßenstaub für euch Rentiere mitgenommen. Jeweils eines davon habe ich euch wie in jedem Jahr um den Hals gebunden, damit ihr fliegen könnt - macht sechs. Und eines liegt als Reserve in meinem Schlitten, falls einer von euch sein Säckchen verlieren sollte. Aber jetzt kann ich das siebte Säckchen mit Milchstraßenstaub nicht finden, obwohl wir es nicht gebraucht haben."

Der Nikolaus suchte erneut: im Schlitten, in seinen Manteltaschen, im Geschenke-Sack, der - und wie sollte es zum Ende des Nikolausabends richtigerweise sein - ebenfalls leer war.

"Vielleicht hat einer der Wichtel das Säckchen in die Weihnachtswerkstatt gebracht, um es für das kommende Jahr sicher aufzubewahren. Oder einer von ihnen hat mir einen Streich gespielt, um mich ein wenig zu necken. Schlimmstenfalls ist es mir aus dem Schlitten gefallen und liegt vielleicht irgendwo auf der Straße.

Dann sammeln wir eben für das nächste Jahr wieder neuen Milchstraßenstaub. Jedenfalls suche ich heute nicht mehr danach. Lieber füttere ich euch jetzt nach dieser langen Nacht mit frischem Heu und kühlem Gletscherwasser, damit ihr satt seid und euch endlich im Stall ausruhen könnt. Und ich freue mich schon auf einen heißen Kakao und auf leckere Plätzchen, die ich gleich auf meinem Sofa genießen werde."

Nur einen Tag später entdeckten ein paar Kinder, die bei Einbruch der Dämmerung nach Hause gehen mussten, auf dem Bürgersteig ein kleines Säckchen.

"Schaut 'mal, das Säckchen muss jemand verloren haben." Die sechsjährige Hannah knotete die goldene Kordel auf und sah winzige kleine Körnchen, die trotz der hereinbrechenden Dunkelheit hell funkelten.

"Oh, wie schön - die sind toll! Wir streuen sie auf unseren Bürgersteig. Wenn die Körner darauf so glitzern, dürfen wir bestimmt noch etwas länger draußen spielen. Sobald die Laternen an sind, muss ich rein, sagen meine Eltern, und das ist immer so früh im Winter. Außerdem hat es das Christkind am Heiligen Abend viel leichter, wenn es uns im Dunkeln nicht suchen muss, weil alles um uns herum so schön glitzert."

Die Kinder verteilten die goldenen Körnchen bis auf den letzten Krümel auf dem Bürgersteig. Der Älteste, der siebenjährige Ben, steckte das leere Säckchen in seine Hosentasche, um es für den nächsten Abend wieder mit Glitzerstraub zu füllen. Er meinte, seine Mutter würde nicht merken, wenn von ihren goldenen Körnchen, mit denen sie die Fensterbank im Wohnzimmer dekoriert hatte, einige fehlten.

"Hallo Papa, gehst du jetzt erst mit Bella deine Runde?" Ben kam gerade zur Haustür herein, als sein Vater die Hundeleine holte.

"Ja, ich bin heute spät dran, weil ich mich mit meinen Arbeitskollegen, bevor alle in den Urlaub gehen, auf ein Glas Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt verabredet hatte. Ich geh' nur kurz um den Block und bin schnell wieder da. Mama ist in der Küche und backt Weihnachtsplätzchen. Du kannst ihr helfen, wenn du möchtest. Dann ist sie schneller fertig, und sie lässt uns vielleicht zum Abendbrot ein paar davon naschen."

"Ja, gute Idee, ich habe schon einen Riesenhunger! Bis gleich."

Hund

Nach kurzer Zeit war Bens Vater mit Bella, der 6jährigen Mischlingshündin, von seiner Gassi-Runde wieder zurück. Seiner Frau und seinem Sohn schien es, als sei er etwas durchein­ander. Sie schmunzelten: "Ja, ja, was nur ein Gläschen Glühwein so alles bewirken kann!"

Er blieb dabei: "Es war nur ein einziges Glas. Ansonsten habe ich noch zwei Kinderpunsch getrunken. Dies ist mir vor vielen Jahren nur einmal passiert, dass ich zusammen mit meinen Kollegen zu viele Gläschen Glühwein genossen habe und anschließend den Weihnachtsbaum nicht mehr schmücken konnte."

Trotzdem - er verhielt sich weiterhin merkwürdig - da waren sich Mutter und Sohn einig. Er suchte überall nach der Fernbedienung, die wie gewöhnlich in der Schublade des Couchtisches lag. Er verfolgte unkonzentriert das Fernsehprogramm und blickte ab und zu gedankenverloren aus dem Wohnzimmerfenster.

"Komm' schon, heraus mit der Sprache! Ist dir vom Glühwein und von der Bratwurst doch unwohl? Du verhältst dich so merkwürdig, seitdem du mit Bella von deiner Runde nach Hause gekommen bist." Seine Frau ließ nicht locker.

"Nein, das ist es nicht. Aber trotzdem ist mir flau im Magen."

"Das verstehe ich nicht."

"Ja, ich eigentlich auch nicht. Also, als ich vorhin mit Bella in den Feldern war, hatte ich das Gefühl, als seien wir beide von der Erde abgehoben und einige Meter durch die Luft geschwebt. Wie der Nikolaus, der seine Rentiere an der Leine hält und mit seinem Schlitten durch den Himmel fliegt. Das kann natürlich nicht sein, aber es war alles so real für mich. Leider hat uns niemand gesehen, der das bestätigen könnte. Ich glaube allmählich, ich sollte überhaupt keinen Glühwein mehr trinken. Wenn mich schon ein Gläschen dazu bringt zu glauben, dass Bella und ich fliegen."

"O.k. Du hast jetzt fast ein Jahr Zeit, dir zu überlegen, ob du bei der nächsten Weihnachtsfeier wieder einen Glühwein trinkst. Vielleicht solltest du besser darauf verzichten, wenn der dich so aus der Bahn wirft! Jetzt lass' uns zu Abendbrot essen! Nach ein paar Weihnachtsplätzchen geht es dir sicher wieder besser."