Vorhang im Theater Strahler

Was für ein Weihnachtstheater!

Wütend klappte ich mein Handy zu. Wieder hatten mein Mann und ich uns gerade darüber gestritten, mit wem und wie unsere Tochter den Advent und die Weihnachtsfeiertage verbringen sollte. Unsere Scheidung lag fast ein Jahr zurück. Damals hatten wir uns mit dem gegenseitigen Versprechen getrennt, dass Mia, die wir beide über alles liebten, nie in unsere Differenzen hineingezogen werden dürfte.

Aber die Realität sah inzwischen anders aus. Gerade hatte mein Ex versucht, mir meinen sehnlichsten Wunsch vehement abzuschlagen, morgen das weihnachtliche Theaterstück in der Kirche zu sehen. Mia sollte an diesem ersten Adventsnachmittag darin ein kleines Engelchen spielen. Außerdem verbot er es mir, am anschließenden Beisammensein im Kindergarten, der drei Straßen weiter entfernt lag, teilzunehmen.

Von einer vernünftigen Einigung bei Verabredungen war längst keine Rede mehr. Schließlich beendete ich unser Telefonat mit den Worten: „Du kannst mir ganz bestimmt nicht verbieten, in die Kirche zu gehen. Sie ist offen für uns alle. Also komme ich dorthin! Zum Kindergarten gehe ich nicht mehr mit. Sieh‛ das als meinen Kompromissvorschlag an.‟

„Nein, ich wünsche beides nicht. Halte dich morgen fern von uns!‟ Er glaubte, ich würde klein beigeben, wie in den zurückliegenden Ehejahren, in denen er stets über mich bestimmt hatte.

„Du wirst dich wundern‟, dachte ich insgeheim, „nicht mehr mit mir!‟

Mia schlich leise vom Korridor in ihr Kinderzimmer. Sie hatte Wortfetzen des elterlichen Telefonats mitgehört. Ein paar heimliche Tränen kullerten über ihre Wangen und nur für das Abendessen kam sie kurz aus ihrem Kinderzimmer heraus. Als sie vor dem Zubettgehen ihr Rollo herunterziehen wollte, wurde sie auf etwas hell Blinkendes am Himmel aufmerksam.

„Oh, eine Sternschnuppe, ich darf mir etwas wünschen! Ich weiß schon was.‟ Mia schloss fest die Augen. „Ich wünsche mir, dass Mama und Papa morgen zu unserem Weihnachtstheater kommen und nicht streiten.‟ Sie zog das Rollo tief herunter und kuschelte sich in ihre Bettdecke.

Engel

Deshalb bemerkte sie nicht, dass die vermeintliche Sternschnuppe direkt auf ihrer Fensterbank landete. Es war Kofan, ihr Schutzengel. Er hatte gesehen, wie traurig sie nach dem Telefonat ihrer geschiedenen Eltern in ihrem Kinderzimmer saß. Kofan schmiedete schnell einen Plan, wie er Mias Herzenswunsch, beide Eltern an diesem Adventsnachmittag bei sich zu haben, erfüllen könnte. ‒

Kaum hatte ich am Adventssonntag den Vorraum der Kirche betreten, entdeckte mich Mia trotz der großen Menschenmenge, lief ungestüm auf mich zu und umarmte mich fest.

„Mama, du bist doch gekommen. Ich habe mir das gestern gewünscht, als die Sternschnuppe vom Himmel fiel. Ich freue mich so! Papa sagte mir, du kommst nicht. Schau‛ mal, wie toll mein Engelskostüm ist – überall Glitzer im Stoff und Flügel mit echten Federn. Ich habe sogar einen leuchtenden Heiligenschein. Den hat mir Frau Roth vorhin erst gegeben und mit Glitzer-Haarspangen festgesteckt.‟

Mia strahlte mich an und drehte sich im Kreis herum. Dabei wirbelten ihre blonden lockigen Haare umher und sie verlor fast ihren Heiligenschein.

„Jetzt muss ich zurück zu Frau Roth, Mama. Sie hat gesagt, es dauert nicht mehr lange bis wir mit dem Theater beginnen. Ich bin echt aufgeregt. Zum Glück wusste ich bei der Generalprobe meine Sätze noch alle. Da hinten sind für unsere Eltern Extraplätze reserviert. Papa sitzt schon dort.‟

„Ja, gut. Toi, toi, toi! Du wirst deine Rolle als Engelchen bestimmt gut spielen.‟ Ich drückte sie fest an mich und gab ihr einen kleinen aufmunternden Kuss auf die Stirn. Natürlich suchte ich mir einen freien Platz, der möglichst weit entfernt von meinem Ex lag. Er hatte mir inzwischen mehrfach bitterböse Blicke zugeworfen.

Das weihnachtliche Theaterspiel mit meinem kleinen Engelchen zog zum Glück schnell meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Ich vergaß alles um mich herum. Ab und zu holten ungewöhnlich laute Windgeräusche und prasselnder Regen, der vermutlich mit Hagelkörnern durchmischt war, uns, die Gäste, jedoch aus der Traumwelt des Weihnachtstheaters. Wie hinreißend Mia in ihrer Rolle aufging. Vor Rührung flossen bei mir ab und an ein paar kleine Freudentränen, die sich mit traurigen Tränen mischten, weil ich beim Telefonat den Kompromiss vorgeschlagen hatte, unmittelbar nach dem Theaterspiel nach Hause zu gehen. Dieses Versprechen wollte ich schweren Herzens halten.

Das Weihnachtstheater endete mit tosendem Applaus für unsere Kinder, der allerdings vom Sturm, der draußen tobte, deutlich übertönt wurde. Abweichend vom Programm bat uns Frau Roth überraschenderweise, noch einen kleinen Moment auf unseren Plätzen sitzen zu bleiben.

„Leider muss ich Ihnen sagen, dass das im Wetterbericht angekündigte Unwetter unsere Pläne gerade durchkreuzt. Es tut mir sehr leid, aber wir müssen es uns anstatt im Kindergarten hier in der Kirche gemütlich machen. Es wäre wegen möglicher herabfallender Äste zu gefährlich, unter den Bäumen bis dorthin zu laufen. Sie konnten die lauten Windböen und den Sturzregen bereits während unseres Theaterspiels hören. Einige Erzieherinnen und Erzieher sind inzwischen mit dem Auto auf dem Weg zum Kindergarten. Sie holen Getränke, Weihnachtskekse sowie die Deko hierher. Es wäre prima, wenn gleich einige von den Erwachsenen beim Ausladen und Dekorieren mithelfen könnten. Hauptsache, wir können trotzdem gemeinsam feiern!‟

Kofan, der sich die ganze Zeit hinter einer geschnitzten Heiligenfigur in der Kirche versteckt hatte, rieb sich die Hände. „Was so ein von mir zur rechten Zeit herbeigerufenes Unwetter doch alles bewirken kann. Herzenswünsche von Groß und Klein erfülle ich gerne!‟