Nilpferde

Das Memory

Muenda saß zusammengesunken am Tisch in der Weihnachtswerkstatt. Die rote Weihnachtsmütze mit dem weißen Pelz ließ seinen dunklen Teint noch stärker hervortreten. Ein paar Tränen tropften auf seinen dicken Weihnachtspullover und auf das weiße Skizzenpapier, das vor ihm lag. Auf der Erde neben seinem Stuhl türmten sich kleine zerknüllte Papierkugeln.

Weihnachtspullover

Seit einer Woche arbeitete er als Weihnachtswichtel für den Weihnachtsmann. Vorher hatte er in einem kenianischen Dorf gelebt. Sein Vater war dort Stammesältester und viele sagten über ihn, Muenda, dass er später auch einmal ein bedeutender ‚Schamane bzw. Seher‘ werde. Das war der Grund, warum er nun in die Weihnachtswerkstatt eingeladen worden war. Er sollte mit seinen Visionen viele neue Spielzeuge für die Kinder erfinden.

Der Weihnachtsmann hatte ihn gebeten, zunächst ein Weihnachtsmemory zu entwerfen. Aber die Wörter, die auf Muendas Notizzettel standen und die ihm beim Malen eine Hilfe sein sollten, verstand er nicht.

Zuckerstange

Zuckerstange – war das eine Stange, an der Zuckertüten festgebunden wurden? Engelsaugen – hat ein Engel blaue, grüne oder braune Augen? Muenda hatte noch nie einen Engel gesehen. Knusperhaus – sollte er eine Hütte seiner Heimat malen? Schneemann – weiße Eiskristalle auf einem Mann? Christbaumschmuck – die Kette seiner Mutter am Baum hängend? Die war viel zu klein, um einen Baum zu schmücken.

Muenda fand das alles ziemlich komisch. Mit diesen Wörtern konnte er nichts anfangen. Und Visionen hatte er dazu auch nicht. Seine kenianische Welt mit Ziegen, Rindern und wilden Tieren war ihm bestens vertraut. Er kannte zahlreiche Insekten und Pflanzen und konnte ein Feuer entfachen.

Ziegen

Der Ober-Elf hörte Muendas leises Schluchzen. „Warum bist du so traurig? Hast du Heimweh? Warum liegen so viele Papierkügelchen auf dem Fußboden? Gefällt dir deine neue Aufgabe nicht?“

„Doch schon, aber ich weiß nicht, was mit diesen Wörtern gemeint ist“, Muenda tippte verschämt auf den Zettel.

„Ach, ich verstehe, warum du noch nichts gemalt hast. Vergiss den Zettel! Wie wäre es, wenn du alles malst, was dir in deiner Heimat besonders gut gefällt?“

Muendas Augen leuchteten auf. „Darf ich alles malen, was ich möchte?“

„Ja, sicher! Wichtig ist nur, dass du jedes Bild doppelt malst. Also zum Beispiel zwei Nilpferd- oder zwei Ziegenkärtchen. Du musst aufpassen, dass beide Bilder wirklich gleich aussehen.“

So entstand in kürzester Zeit statt des Weihnachtsmemorys ein wunderschönes Memory aus Muendas afrikanischer Lebenswelt. Und viele, viele Jahre später stand das Kenia-Memory immer noch ganz oben auf den Wunschzetteln der Kinder.