Sack mit Kohlen

Echt verkohlt!

Kaum von der Arbeit zu Hause angekommen, war das schlechte Benehmen unseres Sohnes erneut unser gemeinsames Gesprächsthema.

"Stell' dir vor Marc, heute Nachmittag hat Ben die Kürbisse, die unsere Nachbarn im Vorgarten so hübsch dekoriert hatten, alle heimlich eingesammelt, um anschließend mit den anderen Kindern Fußball damit zu spielen. Du kannst dir vorstellen, wie seine Stiefel ausgesehen haben, ein Gemisch aus Kürbis- und Schlammpaste. Ich glaube, die sind ruiniert, und wir müssen ihm schon wieder neue Stiefel kaufen. Bei unseren Nachbarn habe ich mich bereits für ihn entschuldigt."

Mein Mann Marc raufte sich verzweifelt die Haare.

"Und – es kommt noch besser! Er hat die Vogelscheuche auf dem Feld ausgezogen, und kam mit ihrem Mantel nach Hause. Sein Kommentar: 'Der ist viel cooler als mein Anorak! War sowieso ein Mädchen-Anorak, sagten alle Kindergarten. Morgen sehen sie, dass ich ein echter Junge bin.' Nun rate mal, was ich vorhin, bevor dunkel war, gemacht habe?"

"Ich kann es mir denken. Du bist zum Feld gegangen und hast die Vogelscheuche wieder umgezogen."

"Richtig!"

"Ich finde es reicht jetzt mit unseren Ermahnungen. So viele Dummheiten, wie in der letzten Zeit, kann man sich eigentlich mit fünf Jahren gar nicht ausdenken. Du erinnerst dich an die heruntergeworfenen Dachziegel von vor zwei Wochen? Da ist er mit Tom auf das Scheunendach eines Bauernhofes geklettert. Wir können von Glück sagen, dass niemand von den Ziegeln getroffen wurde. Zudem war der Bauer sehr verständnisvoll, weil er noch Ersatz und die beiden Jungen früh genug erwischt hatte. Ich mag mir nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn er sie nicht so schnell gesehen hätte."

"Ja, du hast Recht. Wir werden ihm sagen, wenn er in den kommenden Wochen so weitermacht, wird er nur einen Sack Kohlen vom Nikolaus bekommen und sonst nichts."

Aber die Drohung seiner Eltern erschütterte Ben nicht im Geringsten. Wie langweilig wäre es doch, wenn er sich nur gut benehmen und brav sein würde.

Seine Kindergartenfreunde bestätigten ihn darin: "Der Knecht Ruprecht ist wirklich streng. Aber der kommt nur zusammen mit dem Nikolaus in den Kindergarten und nicht zu uns nach Hause. Ha, ha! Und deshalb können unsere Eltern ihm nichts über uns erzählen! Also mach' dir keine Sorgen!"

"Mache ich mir nicht. Stellt euch vor, was wir alles mit Kohlen spielen könnten! Vielleicht sind die ein schöneres Geschenk als Süßigkeiten?"

Am Morgen des 6. Dezember schlich sich Ben schon sehr früh aus seinem Kinderzimmer, um nachzusehen, ob der Nikolaus seine neuen Stiefel – die Kürbis-Matsch-Stiefel hatte seine Mutter inzwischen in den Müll geworfen – gefüllt hatte.

"Mama, Papa, kommt schnell, der Nikolaus war schon da! Meine beiden Stiefel sind bis zum Rand voll!"

Ben verschwand mit seinen Stiefeln im Wohnzimmer und setzte sich auf den neuen Teppich, den wir uns vom Weihnachtsgeld gerade gekauft hatten. Ehe wir uns versahen, öffnete er beide Säckchen und schüttete den Inhalt – Kohlen – auf den Teppich.

"Oh, super! Er hat mir wirklich Kohlen anstatt Süßigkeiten gebracht! Tom und ich wissen schon, was wir damit alles machen können. Schaut mal!"

Und sofort strich er sich mit zwei Kohlenstückchen über sein Gesicht und färbte es schwarz ein.

"Als erstes werden wir Einbrecher und Polizist spielen. Ich bin der Einbrecher. Sieht das nicht super getarnt aus! Danke, danke, lieber Nikolaus für die Kohlen!"

Während unser Sohn Ben die Kohlenstückchen begeistert wieder in die beiden Säckchen stopfte, war Marc weniger begeistert auf dem Weg zum Staubsauger. Ich stand wie gelähmt vor dem neuen Teppich und hoffte, dass meine Hausfrauen-Qualitäten nebst Fleckenmittel  ausreichten, um alle Kohlenflecken rückstandslos zu entfernen.

Am Nachmittag sagte Marc bei einer Tasse Kaffee und Weihnachtskeksen zu mir, er müsse mir unbedingt von seinem schlimmsten Nikolaus-Geschenk erzählen.

"Ich bekam von ihm auch schon einmal einen Sack Kohlen, weil ich mich immer schlecht benommen und nicht auf meine Eltern gehört hatte. Meine beiden Schwestern fanden in ihren Stiefeln Süßigkeiten und Obst. Ich heulte wie verrückt und war neidisch auf beide. Am nächsten Tag standen meine Stiefel morgens vor meinem Bett – gefüllt mit Süßigkeiten und Obst. 'Da hat mich der Nikolaus echt verkohlt', sagte ich damals zu meinen Eltern. 'Aber ich will versuchen, trotzdem etwas braver zu sein', versprach ich ihnen. – Was mir allerdings nicht leicht fiel. So ändern sich die Zeiten, mein Schatz – oder auch nicht!"