Dattel-Hamm-Kanal mit Eis

Die kleine Eisscholle Eilika

Es war ein klarer, sonniger Wintermorgen und die Temperatur lag weit unter dem Gefrierpunkt. So konnten sich auf dem Kanal kleine Eisschollen bilden. Das hatte es schon lange nicht mehr ge­­geben.

Die munteren Eisschollen tanzten mit der Strömung im Hafenbecken herum. Sie eckten ab und zu an rostigen Spundwänden an. Es krachte, wenn sie auf einen dicken Ufer­stein trafen, und es knirschte leise, wenn sie den Raureif von den Gräsern an der anderen Kanalseite abstreiften.

Eine vorwitzige Eis­scholle, der es zu langweilig war, wollte mit den anderen eine Wette abschließen. Wie viele Tage würde es wohl dauern, bis sie das Meer erreicht hätten? Oder sollten es gar Wochen werden?

„Das wird eine Reise mit großem Tempo, denn Tempo ist überall gefragt“, prahlte die kleine Scholle Askan altklug.

„Wieso mit viel Tempo zum Meer schwimmen? Ich habe gehört, dass es Kindern viel Spaß macht uns zuzusehen“, meinte Eilika. „Sie lieben es, wenn wir gemütlich dahinschwimmen und in der Sonne wie Kristalle glänzen. Ab und zu möchten sie uns anfassen, um zu messen wie dick wir schon sind. Auf all das willst du nur wegen einer Wette verzichten?“

„Klar, das ist doch Eis­schol­len-Geschwätz von gestern. Los, wer macht mit? Schwimmt neben mich, damit wir auf gleicher Höhe sind!“

Etwa zehn Eisschollen wollten mit Askan, der eiligen Eisscholle wetten. Eine dicke meinte, es würde eine Woche dauern, eine läng­liche Scholle glaubte, zehn Tage seien sie unter­wegs.

Andere Eis­schollen wiederum vermuteten, die Sonne würde sie weg­schmel­zen. Deshalb könnten sie nie das Meer erreichen. Und hui, los ging’s. Sie wirbelten herum, wurden schneller und schneller. Nachdem sie unter zwei Kanalbrücken hindurchgerast waren, konnte man sie vom Hafenbecken aus nicht mehr sehen.

Währenddessen trudelte Eilika mit einer Hand voll anderer zurückgebliebener Eisschollen gemütlich im Hafenbecken herum. Sie sonnte sich, um die Wasser­perlen zu zählen, die auf ihrer Oberfläche glänz­ten. Dann schwamm sie wieder zurück ans schattige Ufer, um zu gefrieren und auf Kinder zu warten.

Und schon waren die ersten Kinder zu hören. Ein Junge und ein Mädchen liefen geradewegs auf Eilika zu.

„Sieh mal, wie schön diese Eisscholle ist – und wie dick. Erst eine superkalte Nacht hatten wir. Ich habe noch nie Eisschollen auf dem Kanal gesehen, seit ich hier wohne. Ich hol sie mal raus. – Toll ist die. Guck mal, sie atmet kleine Luftblasen und man kann sich in ihr spiegeln.“

Eine kleine Hand glitt über Eilika hinweg und streichelte sie zärtlich.

Eilika funkelte die beiden Kinder an, was das Zeug hergab. Sie zeigte sich von ihrer dicksten und glänzendsten Seite. Das, was sie an diesem Morgen besonders schön machte, waren die strahlenden und staunenden Kinderaugen und die kleine Stupsnase, die sich in ihr spiegelten.

Die kleine Eisscholle war froh, auf die Tempowette verzichtet zu haben. Tempo statt das wunderschöne Gefühl, von Kindern bestaunt zu werden. Lieber wollte sie hier bleiben, die Kinder erfreuen und bei wärmeren Temperaturen vor Glück dahinschmelzen.

Schnee auf Steinen