Norwegens Küste

Ungewöhnliche Freunde im arktischen Gewässer

Wellenkamm

Es war einer dieser stürmischen Novembertage in den norwegischen Gewässern, der den baldigen arktischen Winter ankündigte. Der Sturm peitschte über das Meer und die Schiffsmotoren kämpften mit Volldampf gegen die Wellen an, die fast zehn Meter Höhe erreichten. Laut klatschen sie an den Rumpf der Schiffe, so dass ihre Stahlplatten knarrten und die hochspritzende Gischt sogar von der Küste zu erkennen war.

Die Wolken wechselten ihre Farbe von tiefstem Grau, begleitet von heftigem Regen, bis hin zu strahlendem Blau, um dann wieder im Sturmtief zum Schwarzgrau zurückzukehren. Und genau diese Wetterlage mit der tobenden See war es, die zwei arktische Meeresbewohner zusammentreffen ließ, die sich nie zu nahe kommen durften: ein junger See-Engel und ein junger See-Schmetterling.

Regenbogen über dem Meer

Beide hatte der Sturm hin und her gewirbelt. Anstatt in großer Tiefe trieben sie nun gemeinsam an der Meeresoberfläche, wo sich ein für sie unbekanntes Schauspiel darbot. Ein gewaltiger bunter Bogen spannte sich vom Himmel bis zu den hohen Wellenbergen und schien direkt im Meer zu versinken.

„Hallo, wer bist du denn?‟, fragte der See-Schmetterling.

„Ich bin ein See-Engel. Das siehst du doch an meinen Flügeln. Schau’ her!‟

Der See-Engel drehte sich schnell um seine eigene Achse und schlug mit seinen wunderschönen durchsichtigen Flügeln wild um sich. Doch durch die stürmische See klappten seine Flügel stets wieder zusammen.

„Na, wirklich erkennen kann ich deine Flügel jetzt gerade nicht. Dieser Bogen, der vom Himmel kommt, blendet mich. Aber du musst es ja wissen.‟ Der See-Schmetterling dachte angestrengt nach. Was hatte er über die räuberischen See-Engel gehört?

„Richtig‟, murmelte er leise. „Sie machen Jagd auf See-Schmetterlinge und sie sind meine Feinde.‟

Äußerste Vorsicht war geboten. Der See-Schmetterling strengte sich nun mächtig an, um möglichst schnell rückwärts und gegen die Wellen zu schwimmen.

Inzwischen schwamm der See-Engel flink aus dem kleinen Strudel heraus, den er um sich herum verursacht hatte.

„Ja, ich weiß, du darfst dich nicht mit mir anfreunden. Irgendwie hat mich der Sturm an die Meeresoberfläche gebracht. Sieh’ ‛mal, dort hinten ist die Küste! Meinst du nicht, wir sollten so lange beieinander bleiben und uns vertragen, bis wir wieder zurück in die Tiefe abgetaucht sind, wo wir beide zu Hause sind? Eigentlich ist dieser bunte Bogen gerade so schön anzusehen. Findest du das nicht auch? Und vielleicht gibt es, wenn es Nacht geworden ist, noch etwas anzuschauen, das wir sonst nicht kennengelernt hätten, weil wir beide tief unten im Meer leben?‟

„Mhm?‟

Die Verlockung war für den See-Schmetterling größer als die Vorsicht vor seiner neuen Bekanntschaft.

„O.k., ich bin dabei. Nur werde ich Abstand zu dir halten. Das muss dir klar sein, denn ich möchte nicht dein Abendbrot vor dieser Polarnacht werden.‟

„Ich verspreche es dir, heiliges See-Engel-Ehrenwort. Übrigens, alle nennen mich ‛Clio’, richtig heiße ich ‛Clione’, aber mir gefällt ‛Clio’ besser. Und wie heißt du?‟

„Ich bin ‛Theco’ und heiße eigentlich ‛Thecosomata’.‟

„Also, Theco, warten wir auf die Polarnacht. Das dauert nicht mehr lange. Schau’, der Bogen ist verschwunden und Himmel inzwischen viel dunkler. Vielleicht erleben wir heute gemeinsam noch ein Abenteuer?!‟

Und so sollte es für beide kommen. Die dicke Wolkendecke riss nach und nach auf und machte für die funkelnden Sterne am arktischen Himmel Platz.

„Theco, dort hinten ist alles grün, als tropfte etwas aus dem Himmel heraus! Die Farben sind anders als die von dem Bogen, den wir tagsüber gesehen haben. Und gerade erkenne ich viele grüne Striche, die ins Meer tunken. Wow, jetzt ähnelt das Grüne dir – einem Schmetterling!‟

 

 

Beide waren verzaubert vom Himmel und versprachen sich, in diesem langen dunklen Winter ab und zu gemeinsam an die Meeresoberfläche zu schwimmen. Natürlich immer mit genug Abstand zueinander, jedoch immer dicht genug beieinander, um sich gemeinsam über das Feuerwerk am Himmel – einen Regenbogen oder Polarlichter, so lernten sie es später –, zu freuen.

Und wer wissen möchte, wie der See-Engel und der See-Schmetterling aussehen, dem wünsche ich viel Spaß bei der Suche nach diesen kleinen Wesen.